Was bedeutet eigentlich Heimat?

Es gibt nicht den einen Heimatbegriff, mit dem sich jeder identifizieren kann. Heimat bedeutet für jeden etwas anderes, jeder hat seine eigenen Assoziationen mit diesem Begriff.

Foto: Lisa Wolf

Manche verbinden Heimat mit Natur:

„Es gibt zum Beispiel ein Gedicht des großen Bertolt Brecht, in dem das poetische Subjekt vor einem blühenden Apfelbaum in die Hände klatscht. Das gelungene Werk der Natur animiert den Schriftsteller zu einer Ausdrucksfindung im Wort.“

 

 

 

Wieder andere denken bei diesem Begriff an Orte:

„Meine Heimat habe ich schon früh verlassen und sie rückblickend immer etwas idealisiert, bis ich auf einen Artikel in der NGZ stieß, der alles in Frage stellte.

Foto: Lisa Wolf

Obwohl diese neuen Erkenntnisse viel zur Entzauberung beigetragen haben, ist das Dorf meiner Kindheit noch immer meine Heimat. Ich kann es auch an einem seltsamen Umstand ablesen: Entfernungsangaben breche ich immer noch herunter auf Entfernungen, die ich aus Kindheit und Jugend verinnerlicht habe. Nur so kann ich mir etwa zwei, sechs, zwölf, 20 Kilometer räumlich vorstellen.“

 

 

 

Manche können mit diesem Begriff gar nichts anfangen:

„Ich bin Französin, bin auch in Frankreich aufgewachsen und lebe schon länger in Deutschland. Ich würde jedoch nie sagen, Frankreich ist meine Heimat, ich fahre in die Heimat, sondern immer, ich komme aus Frankreich. Paris ist nicht meine Heimatstadt, Paris ist mein Geburtstort, ich habe dort eine glückliche Kindheit verbracht und fahre gern hin. Aber Heimat passt dazu nicht. Das Wort wirkt einengend. Es gibt die Hiesigen, die sind in der Heimat geblieben und die Fremden, deren Heimat anderswo liegt.

Foto: Lisa Wolf

Ich habe Deutsch in der Schule gelernt und dabei erfahren, dass es deutsche Wörter gibt, die man nicht übersetzen, sondern nur umschreiben kann. Dazu zählen Heimat, Sehnsucht, Gemütlichkeit und natürlich Heimweh, die Sehnsucht nach der Heimat, vielleicht sogar die Sehnsucht nach der Gemütlichkeit in der Heimat.

Als Französin würde ich also immer das Wort „Land“ oder „Ort“ benutzen. Es ist neutraler.

Und selbst wenn es sich nicht um eine geografische Bezeichnung handelt, sondern um einen Ort, im Sinne von „ein Stück Heimat“, würde ich lieber „etwas Vertrautes“ sagen.

Jetzt gibt es ein Heimatministerium, es bleibt mir fremd, dass ein emotional aufgeladenes Wort in die Amtssprache übernommen wird.

Noch kurz zur „Neuen Heimat Internet“. Eine Social Community trifft sich natürlich an einem Ort, in dem Fall im Netz, dort soll man sich heimisch fühlen, auch heimatverbunden? Wie viel Heimat braucht man? Ist der Name als Pendant zum Heimatministerium, als ein neuer Umgang mit dem Wort gedacht? Mir bleibt es fremd. Vielleicht weil Deutschland nicht meine Heimat ist?“

Foto: Lena Reuters

Kein politischer Begriff?

Heimat ist für mich kein politisch zu besetzender Begriff, sondern eine individuelle Verbindung von Erinnerungen und Gegenwart. Ich erinnere mich an vertraute Orte und Menschen, die sie zum Leben erweckt haben. Heute spüre ich, was mich geprägt hat, was ich übernehme oder ändere, wenn ich selber mein Zuhause aufbaue.

Heimat sind für mich vertraute Orte und vor allem die Menschen, die sie zum Leben erweckt haben.“

 

 

Foto: Pixabay

Ohne Huhn im Nahverkehr

„Ich reise viel. Manche behaupten sogar, ich wäre die weitesten gereiste Person, die sie kennen. Nun gut, ich weiß ja nicht, wen die so kennen, aber grundsätzlich ist bei der Zahl der Länder noch Luft nach oben. Was aber stimmt: je weiter weg – geographisch wie kulturell – desto lieber ist es mir. Ob China, Guatemala, Zimbabwe, Iran oder Turkmenistan – ich liebe es, diese Länder zu erkunden, das Essen zu probieren, Besonderheiten zu erspüren oder Gemeinsamkeiten zu entdecken.

Immer wieder ertappe ich mich aber auf Reisen dabei, dankbar dafür zu sein, nach Deutschland hineingeboren worden zu sein und hier leben zu dürfen. Ganz selten nur entdecke ich Orte, an denen ich mir vorstellen könnte, dauerhaft zu leben. Wer möchte schon in Zimbabwe leben, mit einer völlig desolaten Wirtschaft und derzeit sogar ohne Bargeld? Das Land ist wunderschön, ich würde jederzeit wieder dorthin reisen. Aber dort leben? Da müsste sich viel ändern.

Oder Turkmenistan, ein surrealer Staat der auf einer Gasblase sitzt, 95 Prozent Wüste, knallheiß und eine weiß-goldene Hauptstadt. Irre. Aber bitte nur für ein paar Tage. Wenn ich in Guatemala im Chicken-Bus sitze zu viert in einer Reihe, die ursprünglich mal für zwei US-Amerikanische Schulkinder gebaut wurde, bin ich sowas von dankbar für jedes Nahverkehrssystem in Deutschland. Sogar für die Kölner Verkehrsbetriebe. Zumindest pickt dort nicht ein Huhn während der ganzen Fahrt am Schuh rum. Und wenn ich in China aufs Klo muss – sprechen wir nicht drüber. Jedenfalls zahle ich gerne 70 Cent auf der deutschen Autobahnraststätte. Auch wenn ich zugeben muss, dass in diesem Punkt Japan unschlagbar ist.
 

Und Iran? Wunderbare kunsthistorische Stätten, großartiges Essen, wahnsinnig nette Menschen. Aber ein politisches System, das einem selbst als Tourist nach vier Wochen auf die Nerven geht. Ob Straßen, Bildung, Gesundheitssystem, politisches System, Wasser- und Stromversorgung, Klima – es mag vieles auszusetzen geben an Deutschland, sicher findet man auch den ein oder anderen Punkt, der in anderen Ländern besser ist, aber in seiner Gesamtheit können wir hier schon ziemlich zufrieden sein. Mein Heimatgefühl tritt also hauptsächlich im Ausland auf – und ist gar nicht so kleinräumlich, sondern bezieht sich auf Deutschland.“

Foto: Lisa Wolf

Heimat hat viele Facetten

  • Heimat ist für mich ein Song, der mein Herz berührt und meine Seele zum Schwingen bringt.
  • Heimat ist für mich ein Familienrezept zu kochen.
  • Mit Heimat verbinde ich Orte, an denen ich mich sicher fühle, an die ich immer gerne zurückkehre.
  • Heimat ist für mich ein Ort, an dem ich nicht überlegen muss, wie ich von A nach B komme.
  • Heimat ist für mich ein Ort voller kleiner Lieblingsorte.
  • Heimat ist für mich der Ort, an dem mein Fernweh ein klein wenig leiser wird.
  • Heimat ist für mich ein Ort voller jährlicher Rituale, die ich immer wieder gerne mit Familie und Lieblingsmenschen erlebe.

  

Es lässt sich vielleicht festhalten, dass der Begriff Heimat so individuell ist wie der Mensch. Wir freuen uns schon auf eure Assoziationen und Gedanken dazu am Montag im KOMED in Köln!