„Wer, wenn nicht wir?“

Veröffentlicht von lw am

Datenbanken, Tools und Netzwerke zur Förderung der Vielfalt in den Medien sind da, um genutzt zu werden!

Von welchen drei Personen würden Sie gerne eine Einschätzung zu den aktuellen Entwicklungen der Corona-Krise in Deutschland hören? Sagen Ihnen die Namen Prof. Dr. Sigrun Smola, Prof. Dr. Ulrike Protzer und Dr. Sandra Junglen etwas? Die drei Frauen sind forschende Virologinnen. Auf der Seite von „ProQuote Medien“ werden 61 Expertinnen zur Corona-Krise aufgeführt, die ihr Wissen zu den verschiedenen Dimensionen der Corona-Pandemie anbieten, darunter Naturwissenschaftlerinnen, Sozialwissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlerinnen. Die laufend aktualisierte Liste offenbart, wie viele Expertinnen und damit potentielle Interviewpartnerinnen zu Wort kommen könnten.

Warum es wichtig ist, im Blick zu halten, wer zum Beispiel in einer Talk-Show als Expertin oder Spezialist spricht? In dem Artikel „Vielfalt in den Medien – Vielfalt in den Redaktionen“ kann nachvollzogen werden, dass es die Sichtbarkeit und Perspektive verschiedener Menschen braucht, um ein Gesamtbild der gesellschaftlichen Realität abzubilden. Das strukturelle Problem wird deutlich: Die Auswahl von Themen, die Verwendung bestimmter Narrative, die Bildsprache und die Präsenz bestimmter Personen hängen davon ab, wie Redaktionen sich zusammensetzen und ob Journalistinnen und Redakteure bereit sind, den eigenen Standpunkt und die bisherige Praxis zu hinterfragen. Um die Diversität in deutschen Medien zu steigern und Redaktionen in ihrer Arbeit zu unterstützen, werden bereits seit Jahren Datenbanken, Tools und Netzwerke erarbeitet.

Hier ist eine Auswahl:

Wer Expertinnen und Spezialisten für ein Interview, einen O-Ton oder eine Keynote sucht, sollte die kostenfreie Datenbank „Vielfaltfinder“ nutzen. In dem Angebot der „Neuen Deutschen Medienmacher*innen“ werden rund 450 Expertinnen verschiedener Bereiche der Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften vorgestellt. Die Bandbreite an Themen ist groß, eine Gemeinsamkeit besteht in der Migrationsgeschichte der aufgeführten Personen.

Die Datenbank „ProVi“ des Kompetenzverbundes „Kulturelle Integration und Wissenstransfer“ (KIWit) möchte den Kulturbereich diverser gestalten. Auf der Online-Plattform beschreiben Künstler*innen, Aktivist*innen, Kulturvermittler*innen, Autor*innen sowie Moderator*innen ihre Arbeitsschwerpunkte. Da das Projekt KIWit im Juli 2020 auslief, wird „ProVi“ im Dezember eingestellt werden – es lohnt sich also, schnell zu sein!

Im Rahmen der 2017 veröffentlichten Studie zur „audiovisuellen Diversität“ stellte Prof. Dr. Elizabeth Prommer von der Uni Rostock fest: „Das deutsche Fernsehen ist heterosexuell!“ Unter dem Motto „Wer, wenn nicht wir, kann queere Lebenswelten sichtbar machen?“ findet sich seit 2018 das ehrenamtlich organisierte Netzwerk Queer Media Society zusammen. Ziel ist es, dass mehr LSBTTIQInhalte und -Akteur*innen in den Medien stattfinden. Dazu wird ein Code of Practice zu den Themen wie Geschlecht und sexuelle Identität, aber auch ethnische Herkunft, Body Positivity, Altersvielfalt und sozioökonomischer Hintergrund entwickelt. Das Netzwerk der Queer Media Society versteht sich als Ansprechpartner für Medienschaffende zur Beratung von Medien und Politik.

Ein weiteres Netzwerk haben die Sozialhelden e.V. aufgebaut. Sollte man Mensch mit Behinderung oder Mensch mit Beeinträchtigung sagen? Warum sind „tapfer“ und „mutig“ oder „strotzt dem eigenen Schicksal“ Zuschreibungen, die meist nicht mehr beinhalten als eine Floskel? Das und vieles mehr erklärt ihr Beratungsangebot „Leidmedien“. Durch die Autor*innen von Leidmedien wird sichtbar, wie unterschiedlich Texte verfasst werden, wenn Menschen mit Behinderung schreiben, anstatt dass über sie geschrieben wird. Um sich weiterzubilden, kann man Angebote wie die Auflistung von Begriffen über Behinderung von A bis Z, die Fotodatenbank „Gesellschaftsbilder.de“ und verschiedene Workshops aufsuchen.

Die Akademieleiterin der Sozialhelden e.V., Lilian Masuhr, schrieb 2016: „Noch herrscht aber ein Schwebezustand zwischen Inklusion 1.0 – Menschen mit Behinderung werden sichtbar – und Inklusion 2.0 – ihre Sichtbarkeit ist selbstverständlich.“

Die Frage, die sich stellt, ist: Wer, wenn nicht wir, sollte beginnen, Datenbanken und Netzwerke, die die Sichtbarkeit verschiedener Menschen und ihrer Perspektiven ohne weiteres ermöglichen, konsequent zu nutzen?


von Lena Reuters