Persönlich, aber nicht privat

Veröffentlicht von lw am

Beschimpfungen, organisierte Hass-Attacken, Drohungen und fast noch schlimmer: Ein Kampf gegen einen Gegner, der weder aufgibt, noch klüger wird. Wer sich im Netz gegen rechte Strömungen engagiert, muss ein dickes Fell und einen ganz besonderen Antrieb haben.

Kluge Sprachanalysen und persönliche Angriffe

Das hat erst kürzlich wieder der Fall von Natascha Strobl gezeigt. Die österreichische Politikwissenschaftlerin schreibt unter anderem auf Twitter #NatsAnalyse, lange Threads, in denen sie Äußerungen, Artikel oder Sendungen mit rechter Tendenz auseinandernimmt. Sie schreibt aber auch Bücher und ist als Expertin gefragt, unter anderem für Fernsehsendungen. Nach einem Statement in der NDR-Sendung „Panorama“ schrieb der „Welt“-Blogger Don Alphonso einen Blogbeitrag darüber, in dessen Folge Don Alphonsos Community Natascha Strobl und ihre Familie mit Drohungen übergoss und sogar die Gedenkseite für ihren verstorbenen Vater kaperte. Dies sei eine neue Erfahrung von Hass gewesen, die ihr hier widerfahren sei, berichtete Natascha Strobl in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, aber sie hätte auch sehr viel Unterstützung erhalten. Beim Social Community Day am 4. November wird Natascha Strobl über ihre Arbeit berichten, was sie warum analysiert und wie sie dabei vorgeht. Natürlich wird auch Thema sein, was sie antreibt und wie die Reaktionen sind.

Foto © Nurith Wagner-Strauss

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin aus Wien. Sie beschäftigt sich mit der extremen Rechten, insbesondere mit ihrer Sprache und ihren Strategien. Sie hat das Standardwerk zur Identitären Bewegung sowie zahlreiche Beiträge zur Neuen Rechten in Sammelbänden, Zeitschriften sowie Zeitungen veröffentlicht.

Undiplomatisch und humorvoll

Hass aus der Community von Don Alphonso musste auch Sebastian Pertsch erfahren. Der Journalist betreibt gemeinsam mit Udo Stiehl die 2015 für den Grimme Online Award nominierte „Floskelwolke“ und äußert sich gerade auf Twitter immer wieder – und nicht immer diplomatisch – gegen rechte Meinungen und Personen. Auch wenn er laut eigener Aussage ein dickes Fell hat und die Beleidigungen ihn zum Lachen bringen, wurde es nach Morddrohungen und der Veröffentlichung seiner Privatadresse doch belastend. Auch Mario Sixtus mit seinen fast 140.000 Followern auf Twitter bezieht immer wieder Stellung gegen Rechts, hat sich natürlich bereits mit Don Alphonso angelegt – und hält auch sonst nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg. Direkt und effektvoll. Eher humorvoll geht Hasnain Kazim mit Angriffen auf seine Person um. Diese betreffen häufig seine Herkunft, beziehungsweise die Herkunft seiner Eltern, denn Kazim ist in Oldenburg geboren, in Stade zur Schule gegangen und hat als Marineoffizier bei der Bundeswehr gedient. Trotzdem wird er oft rassistisch beleidigt – was er auf Facebook, Twitter und in Büchern kreativ nutzt. In „Post von Karlheinz“ veröffentlichte er „Wütende Mails von richtigen Deutschen“ und seine Antworten darauf. Die meisten davon sind auch auf seinen Social-Media-Kanälen zu lesen und als Leser*in schwankt man zwischen lautem Lachen, schierem Entsetzen und großer Bewunderung für die Schlagfertigkeit. Diese versucht er in seinem jüngsten Buch „Auf sie mit Gebrüll!“ an die Leserschaft weiterzugeben.

Familiengeschichte

Weniger mit Angriffen zu kämpfen hat Nora Hespers – und doch macht sie sich angreifbar, denn sie macht ihre Familiengeschichte öffentlich. Unter dem Titel „Die Anachronistin“ recherchiert sie seit Jahren über ihren Großvater Theo Hespers, der 1943 als Widerstandskämpfer von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Dabei geht es ihr natürlich um die Vergangenheit, vornehmlich aber um unsere Gegenwart. Und so ist auch ihr Twitter-Account angefüllt mit gesellschaftlichem Engagement und geprägt von einem Netzwerk gegen antidemokratische Kräfte. Am 4. November wird Nora Hespers beim Social Community Day darüber berichten, wie es ist, sich so lange und so intensiv einem Thema zu widmen, was jetzt sogar zu einem Buch wird.

Fotocredit: Annette Etges | Suhrkamp Verlag

Twitter: @fraunora @Anachronistin

Nora Hespers ist Diplom-Sportwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Medien und Kommunikation. Sie ist seit 2003 als freie Mitarbeiterin in der WDR Sportredaktion tätig, dort ist sie unter anderem als Social Media Redakteurin für Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs tätig. Nach einigen Jahren in der Fernsehredaktion hat sie zu ihrer wahren Leidenschaft, dem Hörfunk gefunden. Bei Deutschlandfunk Nova arbeitet sie als Autorin und Online-Redakteurin. 

Seit Ende 2014 beschäftigt sie sich privat mit der Geschichte ihres Großvaters Theodor Franz Maria Hespers. Der Mönchengladbacher war Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und wurde am 9. September 1943 in Berlin-Plötzensee von den Nazis erhängt. In ihrem 2018 für den Grimme-Online-Award nominierten Blog- und Podcast-Projekt „Die Anachronistin“ zeichnet sie sein Leben nach. Eine ihrer Hauptquellen ist ihr 1931 geborener Vater. Im Laufe der Jahre hat sie noch viele andere Quellen entdeckt. In Archiven, aber auch über das Netz. Wichtig ist ihr dabei nicht nur das Wühlen in der Vergangenheit. Ihre Leitfrage ist: Was hat das mit uns zu tun? Wie lebendig ist diese Geschichte? Im Frühjahr 2021 wird ihr Buch „Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich“ veröffentlicht.


von Vera Lisakowski