GOA talks – wer spricht? (5)

Veröffentlicht von as am

Im Panel „Digitale Erinnerungen“ sprechen Isabel Raabe und Anne von Oswald über das „RomArchive“ und das „We Refugees Archiv“.

Porträt Isabel Raabe
Isabel Raabe. Foto: Andreas Roth

Isabel Raabe ist Kuratorin und Projektentwicklerin und lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte Zeitgenössischen Tanz und später Kulturmanagement und kuratierte zahlreiche interdisziplinäre internationale Kunst- und Kulturprojekte. Sie interessiert sich für kuratorische und künstlerische Strategien, die westliche Perspektiven und Denktraditionen durchbrechen. Sie initiierte u.a. das RomArchive – Digitales Archiv der Sinti und Roma, das 2019 online ging und den European Heritage Award 2019 und den Grimme Online Award 2020 gewann. 2022 erschien ihr Buch „Widerstand durch Kunst – Das kulturelle Schaffen der Sinti und Roma“ (gemeinsam mit Moritz Pankok und Romani Rose, Ch. Links Verlag, 2022). Isabel Raabe hatte 2019 die Idee zum Projekt TALKING OBJECTS – Decolonizing Knowledge, das sie gemeinsam mit Mahret Ifeoma Kupka durchführt. Beide sind Teil des Kurator*innenteams aus Kenia, Senegal und Deutschland, das gemeinsam die Think Tank- und Ausstellungsreihe TALKING OBJECTS LAB in Dakar, Nairobi, Berlin und Frankfurt kuratiert. Das daraus entstehende TALKING OBJECTS ARCHIVE, ein digitales Archiv für dekoloniale Wissensproduktion, soll 2024 online gehen. Isabel Raabe ist Assoziiertes Mitglied des ERIAC – European Roma Institute for Arts and Culture und Mitglied des Kuratorischen Teams von BARAZANI.berlin – Forum Kolonialismus und Widerstand.

„Zwischen Magazin und elaboriertem Archiv macht das „RomArchive“ die Künste und Kulturen der Sinti und Roma sichtbar. In zehn thematisch unterteilten Bereichen finden sich etwa 5.000 Objekte und Artikel, so miteinander verknüpft, dass sich die Nutzer*innen darin verlieren können. Als internationales und mehrsprachiges, von Sinti und Roma erstelltes Projekt bestärkt es die Minderheit und ist Wissensquelle für die Mehrheitsgesellschaft. So begegnet dieses einzigartige Angebot Stereotypen und Vorurteilen mit Fakten.“

(aus der Projektbeschreibung beim Grimme Online Award 2020)

Das Projekt erhielt für Idee, Kuration und Gestaltung einen Grimme Online Award in der Kategorie Wissen und Bildung.

„Wegsehen ist ein Akt der Segregation. Sinti und Roma gehören nach wie vor zu den Volksgruppen, die systematisch einer solchen absichtsvollen Unsichtbarkeit ausgesetzt werden. Das „RomArchive“ setzt dieser Unsichtbarkeit auf künstlerisch inspirierende, informative und wissenschaftlich fundierte Art die Präsentation einer vielfältigen und reichhaltigen Kultur entgegen – und beschämt alle, die Sinti und Roma aus Mitleid oder klammheimlicher Abneigung in die Rolle der ewigen Opfer zu drängen versuchen.“

(aus der Jury-Begründung)

Im quergewebt-Interview von 2020 sprachen Isabel Raabe und Romani Rose (Beiratsmitglied und Vorsitzender des Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma) über das Archiv. Zur Entstehungsgeschichte sagte Isabel Raabe:

„Wir sind über ein Jahr durch ganz Europa gereist, haben mit Sinti und Roma gesprochen, mit Aktivistinnen, mit Künstlerinnen, mit Politikerinnen, Akademikerinnen und haben immer diese Frage gestellt: Was für ein Kulturprojekt könntet ihr euch vorstellen? Was braucht es? Und was wir wirklich immer wieder hörten, war: Wir brauchen einen Ort, an dem wir sichtbar werden. So entstand die Idee eines digitalen Archivs, dessen Umsetzung dann von der Kulturstiftung des Bundes mit 3.75 Mio. Euro gefördert wurde. Ein digitales Archiv, also die Verortung im Internet passt gut, denn die Sinti und Roma sind auf alle Länder Europas und darüber hinaus verteilt.“

Das vollständige Interview, in dem es auch um Anspruch und Zielgruppen des Archivs geht, ist im quergewebt-Blog veröffentlicht.


Porträt Anne von Oswald
Anne von Oswald

Dr. Anne von Oswald, Historikerin und Sozialwissenschaftlerin, kam zum Thema Migration über ihr Studium in Italien und ihre Forschungsarbeit über die italienischen Arbeitsmigrantinnen und -migranten in den 1960er und 1970er Jahren in Deutschland. Als Projektleiterin bei „Minor Projektkontor für Bildung und Forschung“ setzt sie Studien sowie Projekte in der historisch-politischen Bildung zum Thema (Zwangs-)Migration und Exil um. Weiterhin beschäftigt sich Anne von Oswald intensiv mit dem Thema europäische Einwanderungs-
gesellschaften und Menschenrechte. Sie ist Mitgründerin des We Refugees Archivs zu Flucht und Exil in Vergangenheit und Gegenwart.

Im Intro der Archiv-Website steht:

„We Refugees Archiv ist ein wachsendes digitales Archiv zu Flucht in Vergangenheit und Gegenwart. Im Mittelpunkt stehen individuelle Schicksale und der Mikrokosmos Stadt als Ort der Zuflucht und des Neuanfangs.“

Weiter wird der Bogen von historischen zu aktuellen Fluchterfahrungen beschrieben. Diese Erfahrungen sollen in einen Dialog gebracht werden und so „neue Verbindungslinien und Erklärungsansätze von und mit Geflüchtetenstimmen für die europäische und internationale Erinnerungs- und Bildungspolitik liefern“ (aus der Projektbeschreibung). In aktuellen Diskursen zur Flucht, so heißt es weiter, diene die (europäische) Vergangenheit als instinktive Projektionsfläche.

„Durch die Verflechtung von Vergangenheit und Gegenwart geht We Refugees Archive diesen Projektionen auf den Grund und hinterfragt gewohnte Verbindungs- und Trennungslinien, um ein neues Narrativ über Fluchtmigration anzuregen. So liegt der inhaltliche Fokus der historischen Dokumente auf Selbstzeugnissen von Menschen, die der nationalsozialistischen Verfolgung durch Flucht (in und aus Europa) zu entkommen suchten, darunter vorwiegend Jüdinnen*Juden. Der aktuelle Teil widmet sich dagegen einem Spektrum von verschiedensten Fluchtbewegungen der letzten Jahrzehnte (vorwiegend nach Europa).“

(aus der Projektbeschreibung)